24 abschnitte

1.
ralf sitzt vor seinem computer, er ist gerade erst zurück von einer tortour, er will es niemanden wissen lassen, verhält sich leise, hängt nachts eine dunkle baumwolldecke vor sein fenster um seine anwesenheit geheimzuhalten, kein lichtschein soll ihn verraten.
er ist leise, musik hört er nur mit kopfhörern und wenn er schreibt, so bemüht er sich, die tastatur nicht zu sehr zu beanspruchen – was wäre, wenn vor seiner verschlossenen tür jemand lauschte.

2.
maxim ist detektiv und er ist es noch nicht lange. er muss zu einer beerdigung, ein guter freund ist gestorben, schockierend, plötzlich, man sagt es sei ein natürlicher tod, aber maxim hat zu viele krimis gelesen, um zu glauben, dass man mit unter 30 außer beim bedrogten autofahren wirklich einfach so sterben kann.
schlimmer noch ist allein, dass er, wie er seinem traumtagebuch entnehmen kann (was er führt, da er unter deja vus ‘leidet’), von so einem ereignis bereits zweimal zu vor geträumt hat: einmal vor zwei jahren und dann noch mal vor zwei monaten, und dann hatte er zwei tage, bevor dieser ganz unabsehbare tod geschah, noch einen wirren traum, in dem ihm eine alte frau mit glaskugel prophezeite, dass ein ereignis, welches er vorhergesehen und gefürchtet habe, bald eintreten würde.

3.
jasper geht den weg zur hochbrücke. er hat eine münze dabei, ein altes zweimarkstück mit dem prägungsdatum 1985, dem jahr, in dem er geboren ist. wenn er auf der brücke ist, wird er sie werfen. bei kopf muss er dran glauben und wird springen, bei zahl fliegt die münze in den kanal und er geht weiter durch sein miserables leben , jedenfalls für zwei weitere jahre, dann steht die nächste entscheidung dieser art an, so ist der plan. es ist ein verdammter, sonniger septembertag, niemand weiß von diesem plan – denn jasper will nicht gestoppt werden, diese münze soll sein schicksal entscheiden und sonst nichts, wenn er sich selbst schon nicht entscheiden kann, ob er dieses letzte jahr angemessen durchlebt hat, fest steht nur, dass er ordentlich gefeiert hat – glücklich hat ihn das aber auch nicht gemacht.

4.
während er sich fragt, ob es nicht absurd ist, sich so zu verstecken, nur selten herauszugehen und dann möglichst auf wenig begangenen wegen, hört er ein lied, das er in den 13 tagen, in denen er sich die füße wund gelaufen hat, nicht gehört hat, da er überhaupt keine musik gehört hat, außer vielleicht ungewollt an feuerstellen und in supermärkten: tocotronics “morgen wird wie heute sein”.
ralf findet, dass dieses lied eine sehr wahre textzeile hat: “es ist nicht schön, allein zu sein.” – aber trotz allem zieht er sich so zurück. denn es ist immer noch besser, denkt jedenfalls ralf, allein allein zu sein, als zu zweit oder mit noch mehr menschen.

5.
“jakob ist tod”, ein anruf von jakobs freundin, verheult, aber schon etwas beruhigt und maxim denkt nur “oh nein”, zwickt sich, um sicherzustellen, dass er nicht träumt und sagt dann, ächzend, sein herz rast: “oh verdammt. soll ich vorbeikommen?”
wie es sich abgespielt hat? er ist einfach umgefallen, beim zubereiten einer leckeren lasagne. einfach so. und maxim ist nicht der einzige, der das nicht glauben mag, wenn er es nicht als abgrundtief naiv ansehen würde, an einen gott zu glauben, dann würde er jetzt auch hadern, so laufen ihm nur die tränen über die wangen, als er eine schaufel erde auf den sarg wirft und dann den angehörigen konduliert, zuallererst jakobs freundin, seit 5 jahren an jakobs seite, sie wollten heiraten, irgendwann. “immerhin noch nichts konkretes”, denkt er, “aber viel leichter macht es die sache für sie auch nicht.” dann jakobs eltern, die er gerade zum ersten mal sieht, obwohl sie jetzt über 8 jahre gute freunde waren, jakob und er.

6.
als er die brücke betritt, glaubt er zusammenzubrechen, seine beine, die ihn in diesem leben doch ziemlich zuverlässig über lange strecken getragen haben geben fast nach, er muss sich am geländer festhalten, um nicht umzufallen. nach zwei minuten, die ihm wie jahre erscheinen, ist er bereit weiter zu gehen, sein kopf hämmert, er schwitzt aus allen poren, aber langsam geht er auf den hochpunkt des brückenbogens zu, während unter ihm ein containerschiff passiert und ihm auffällt, dass sich am horizont eine gewitterfront gebildet hat, die diese hitze beenden wird, wenn sie denn ihre aufgabe zu erfüllen gedenkt.
als jasper meint, die richtige stelle erreicht zu haben, wirft er die münze. er hat das unzählige male geübt und auch jetzt, in dieser situation, die er nicht so erwartet hätte -‘woher weiß mein körper, dass es für ihn gerade um einiges geht?!’-, gelingt es. die münze fällt in seine hand, er legt sie auf den handrücken der anderen hand, zahl, seine hand fängt an zu zittern, die münze gleitet herunter, ein metallischer klang beim aufschlag auf den boden des gehsteigs und auch wenn es so aussieht, als höre sie gleich auf zu rollen – sie rollt, bis sie fällt.
unhörbar taucht sie ins wasser ein.

7.
ralf ist in seinem versteck, seinem zimmer, seinem ‘refugium’, wie er es mittlerweile zu nennen pflegt, es ist tag und da er an diesem tag verschlafen hat, da der rotwein vom vorabend sich als schlaftrunk erwiesen hat, kann er seine kammer nicht verlassen.
was harmlos klingt, ist oft schwieriger als es scheint und so ist es auch mit ralfs eingeschlossener existenz, er kann nicht duschen – obwohl er sich verschwitzt fühlt, nach dieser langen, traumreichen nacht-, er hat nur noch ungekochte nudeln, joghurt, grillsenf, leitungswasser und orangensaft zur ernährung zur verfügung.
dass die nudeln ungekocht sind, ist aufgrund ralfs spirituskocher jedoch ein geringeres problem als die tatsache, dass er die toilette nicht aufsuchen kann – eigentlich kann er es zwar, aber will es nicht zu oft riskieren, weshalb er, als auf dem flur vor seinem zimmer ein gespräch im gange ist, sich genötigt sieht, in einen müllbeutel zu urinieren.
die nudeln aber, gekocht auf dem offenen feuer des armeekochers, garniert mit joghurt und senf, geben ein sättigendes mahl.

8.
in seinem traum war diese beerdigung an einem grässlichen, regnerischen novembertag – jetzt ist februar, es hat die nacht zuvor geschneit – der mit abstand hellste tag im neuen jahr – und die sonne blendet derartig, dass die meisten schwarzgekleideten, traurigen gestalten nicht nur der tränen wegen sonnenbrillen schreiben. “sehen aus wie mafiosi”, denkt maxim.
maxims telefon klingelt, als man gerade dabei ist, sich vom friedhof zum leichenschmaus (ein wort, das maxim immer absurd erschien, aber das hat hier auch nichts zu suchen) zu machen. “ja?” sagt er, als er es aufklappt: “ich bin’s”, sagt die stimme seines onkels und chefs am anderen ende, “es tut mir leid, dich jetzt zu stören. aber es gibt arbeit für dich, und du weißt ja: time is money.”
maxim verabschiedet sich, teils zunickend, teils umarmend und begibt sich auf den parkplatz, von kahlen eichen überragt, in seinen alten renault, zündet sich eine zigarette an, flucht ein wenig über die ungerechtigkeit der welt und die schwierigkeiten des seins.
dann fährt er los, zu der adresse, die ihm sein onkel genannt hat.

9.
jasper ist wieder in seiner wg, er hat sich einen kasten bier gekauft, denn er hat nicht damit gerechnet, dass die münze so fallen würde, wie sie gefallen ist. “wiedergeburt”, denkt er, “wiedergeburt, das muss man feiern.” aber es ist niemand da, mit dem er feiern könnte und somit trinkt er allein, obwohl er weiß, dass er dann am nächsten tag vermutlich total hinüber ist, schwarzsichtig, aber so schlecht ist das auch nicht, wenn er schwarzsichtig ist, dann kann er immerhin schreiben. jedenfalls für kurze zeit sind die geschichten in ordnung.

10.
ralf geht einkaufen, er traut sich raus, nach langer überlegung. es ist abend, ungefähr 18:30. die wege die er geht, sind nicht die, die er sonst geht, wege auf denen die wahrscheinlichkeit, von leuten die er kennt gesehen zu werden, gering ist, so gering wie möglich. deswegen geht er zu einem supermarkt, der weiter entfernt ist, als es sein müsste.
er hat sich sachen angezogen, die er nicht mag und deswegen selten trägt, um nicht flüchtig gesehen zu werden, und in der hauptgefahrenzone, wie er es nennt, geht er anders als sonst, leicht gebeugt und breitbeiniger als sonst – denn er befürchtet, an seinem gang erkannt zu werden, wobei er sich jetzt wie ein idiot vorkommt und hofft nicht mehr dadurch aufzufallen als sonst.
an einer tankstelle sitzen ein paar mädels, ralf schätzt sie auf irgendein alter zwischen 14 und 20, nichts wovor man angst haben müsste, dennoch, er stellt fest, dass er sich in diesen beschissenen klamotten einfach nicht wohlfühlt, er schaut gerade vor sich auf den boden, als er sie passiert hat, bekommt er zu hören: “yeah!” er sieht sich nicht um, es ist alles einfach nur entsetzlich, am nächsten tag muss er unbedingt rechtzeitig aufstehen, damit er im schutz der morgenstunden sich ein schönes plätzchen suchen kann, etwa in der stadt, oder an irgendeinem strand. jetzt aber erstmal einkaufen, um nicht zu hungern, falls er verschläft, oder das wetter plötzlich entsetzlich sein sollte.

11.
maxim hält vor einem altem, ehrwürdigen haus im besten viertel der stadt, es gibt hier sogar parkplätze, die sonst selten sind in der stadt am wasser.
maxim klingelt, nach dem er sich kaum auf das grundstück getraut hat, es ist alles so akkurat und gepflegt – er ist gewissermaßen beeindruckt.
ein herr im frack öffnet, “kommen sie herein, sie werden erwartet.” ein butler. maxim hat einiges erwartet, das nicht.
durch einen dunklen gang wird er in ein zimmer geführt, die sonne fällt durch die schlitze der geschlossenen fensterläden, auf geheiß des butlers nimmt er auf einem ledersessel platz. er sieht sich um und bemerkt in einer ecke des raumes, den man wohl mit recht als salon bezeichnen kann, eine ältere frau, ca. 60, dauerwelle, stark geschminkt.
“gut das sie da sind, herr rohde. eine freundin von mir hat sie empfohlen und mein mann kennt ihren onkel aus längst vergangenen tagen, aber ich will zum punkt kommen. mein mann ist verschwunden. ohne jede nachricht. und ohne gepäck. das ist nicht karl-josefs art, rein gar nicht. ich möchte, dass sie ihn finden.”
“danke. ich denke, es war mein onkel, der ihrer freundin geholfen hat, ich bin noch nicht lange in dem geschäft – aber das bei seite, haben sie irgendwelche anhaltspunkte, wo ihr mann sein könnte? denken sie, dass er willentlich verschwunden ist, oder gekidnappt wurde? was macht ihr mann? – je mehr ich weiß, desto eher kann ich ihn finden.”

12.
jasper ist betrunken zu bett gegangen, er sieht es am nächsten morgen, der ein nachmittag geworden ist: seine sachen liegen quer durch den raum verteilt, die hose halb auf dem bett. und sehen ist nicht alles, da ist auch noch ein gefühl der übelkeit, was ihn aber nicht mehr verwundert, nach dem er gesehen hat, dass im bierkasten nur 4 flaschen voll geblieben sind. und er war allein.
jetzt aber muss es vom kater in ein neues leben gehen, nicht weiter hängen, irgendetwas machen, aufräumen vielleicht. oder wenigstens schreiben. ein gedicht? nein, jasper fühlt sich überhaupt nicht literarisch, aber für einen prosatext fehlt auch jede idee, da ist lediglich der gedanke, eine geschichte zu schreiben über jemanden, der sich ein jahr frist setzt, ein jahr, bei erfolg weiterleben, bei misserfolg, suizid, dann, obwohl kein wirklicher erfolg, eher ein misserfolg, sich nicht umbringt, da die münze, die er in seiner ratlosigkeit wirft, es ihm so bescheidet – aber das ist seine eigene geschichte und ob er die aufschreiben will? jetzt nicht.

13.
ralf lebt weiter abgeschottet, aber er sperrt sich nicht nur ein, er geht spazieren, eigentlich will er nur kurz los, einkaufen, aber es dehnt sich, das wetter ist hervorragend, in ihm erwächst der wille, zum strand zu gehen. und er geht, und geht und geht zurück, es sind ungefähr 35 kilometer die er an diesem tag geht, aber das macht nichts, denn die wanderung hat ihn diesbezüglich hart gemacht, mehrere tage hintereinander ist er da derartige distanzen gegangen, jetzt geht es auch mit sandalen, nur die füße sind hinterher schwarz, als wäre er barfuß gegangen. der rückweg war ein wenig komisch, es dämmerte bereits, ein paar kuriose gestalten sitzen in einer hütte am weg, sie wirken zerlumpt und klingen betrunken – und später, die kanalfähre – der fährmann spricht viel und laut und lallend, so dass sich ralf fragt, ob der mann betrunken ist, oder nur dumm.

die fähre fährt dennoch tadellos.

14.
maxim sitzt wieder in seinem auto. rauchend, denn er hat im handschuhfach eine packung gauloises gefunden, als er nach einer packung taschentüchern suchte.
was für ein blöder fall, denkt er, inhalierend, bis er schlußendlich husten muss. er wäre wohl wirklich besser zum leichenschmaus gegangen, hätte etwas kaffee getrunken, ein paar käsebrote gegessen oder kuchen. aber nun hat er diesen fall am hals. sein onkel hat ihm vor langer zeit – maxim war noch ein kind – im ledersessel im elterlichen wohnzimmer sitzend, eine zigarre paffend, damals noch mit schwarzen, nicht grauen haaren, erzählt, dass die schlimmsten fälle die seien, in denen man jemanden finden müsse, der nicht gefunden werden wolle. man müsse zunächst sehr kämpfen, um an informationen zu kommen, wo die person überhaupt sein könne, dann diese bearbeiten und verwerten, dann unzählige orte aufsuchen, observieren – kurzum – das genaue gegenteil von einfachem beschatten. und jetzt hatte maxim selbst so einen fall am hals, ein entlaufener ehemann aus der guten gesellschaft – er konnte überall sein, in der karibik, oder in thailand, oder sonst wo. vielleicht auch nur 4 häuser weiter.überall. gut, immerhin war die bezahlung kein problem, dass hatte ihm diese furienhafte frau versichert, und ihm bereits eine erste aufwandsentschädigung gezahlt, 1000 € – der satz, den sein onkel in solchen fällen pro woche mindestens zu nehmen pflegte.

15.
jasper sitzt im park, die sonne scheint, aber da es vormittag ist, ist es relativ leer, am nachmittag wird es voller werden und er sich vermutlich zurückziehen, um besorgungen zu erledigen oder zu versuchen zu schreiben – oder was auch immer, jedenfalls, da ist er sich sicher, er wird nicht bis zum abend hier im park bleiben, wird nicht grillen oder irgendetwas derartiges.
eine schwarze kreatur steht plötzlich vor ihm, mit einer krähe auf der schulter, aber das ist es nicht, was ihn erkennen lässt, dass er wohl oder übel träumen muss; es ist einfach zu unwahrscheinlich, dass diese person so jetzt ihm vor ihm steht; er hat sie zuletzt vor drei jahren gesehen und auch da nur flüchtig, es ist eine schulbekanntschaft, eine klassenkameradin, die irgendwann anfing, leichenspray als duft zu verwenden, und sich farblich größtenteils auf schwarz-weiß zu reduzieren – jasper hat sie dafür bewundert, er selbst war zu diesem zeitpunkt nicht im entferntesten in der lage, so aus sich herauszugehen – zudem war sie nicht hässlich, damals – vermutlich ist sie es auch jetzt nicht, aber was man nicht weiß, soll man nicht glauben, nicht mal annehmen, denkt jasper, als er wieder wach ist, klar sieht.

er verlässt den park, um bier zu kaufen.

16.
ralfs leben im inneren exil, wie er es nennt, obwohl er die bezeichnung nie jemand anderem mitteilen würde, da er sie für reichlich bescheuert hält, geht so la la voran. seit dem tag, an dem er seinen ausufernden einkauf gemacht hat, hat er das zimmer nicht mehr für mehr als ein paar stunden verlassen, es ist eine qual, aber leider hängt wirkliches rausgehen eben von tageszeiten ab und ralf, hier nicht gezwungen, geregelt zu schlafen, verharrt wach, sei es um musik zu hören, filme zu gucken oder zu lesen bis in die morgenstunden, in denen ihm dann aber der aufbruch zu einer wanderung absurd erscheint, da er nicht glaubt, 30 kilometer oder sogar mehr übermüdet durchhalten zu können, so dass er sich, pünktlich wenn es zwischen 6 und 7 tag wird, schlafen legt, um sich dann zu wundern, warum er erst um 13-15 uhr wieder aufwacht und der weitere tagesablauf damit vorgezeichnet ist. er ist auch nicht gut, so viel spaß macht es auch nicht, sich auf einem spirituskocher im zimmer bei geschlossenem fenster spaghetti zu kochen – die mensaöffnungszeiten pflegt er ja zu verschlafen. da er sich versteckt, schafft er es nicht, ordnung ins zimmer zu bringen und ein paar überschüssige sachen zu verkaufen, die er schon länger verkaufen will, da er fürchtet, größere geräusche von sich zu geben – und das schlimmste dabei ist, das ihm die absurdität seiner eigenen situation bewusst ist, aber er sich nicht in der lage sieht, etwas an ihr zu ändern.

17.
maxim sitzt in seiner wohnung, die klein ist und mal wieder unaufgeräumt, in der küche stapelt sich dreckiges geschirr, ein lange liste vor sich, addressen, telefonnummern. “wenn du jemanden finden willst, darfst du nie so wirken, als würdest du jemanden suchen. wer auf der flucht ist, hat für spürhunde einen siebten sinn” – wieder sein onkel, wieder in jenem sessel, wieder eine zigarre, wenn auch diesmal fast zu ende geraucht, ein stumpen, der raum mit rauch gefüllt, so dass der kleine maxim, sich plötzlich von außen vom geistigen auge sehend, wie er ein puzzle löst, das bild “versunkene kirche”, welches hinter dem sessel hängt nicht mehr sehen kann. ja, das wird er beachten müssen, aber erstmal muss er die informationen die er hat, systematisieren. es ist wichtig, am richtigen ende anzufangen. morgen wird er losfahren. getarnt als staubsauger-vertreter.

18. jasper, am selben abend, etwas angetrunken, aber dank kaffee in schreibfertigen zustand, fehlen die worte. er versucht sich eine zeitlang gegen den melodramatischen gedankengang “ich werde nie mehr schreiben können” zu wehren, aber nach dem er nach einer stunde nicht mehr als drei sätze zu papier gebracht hat, gibt er auf, denn es scheint ihm zwecklos zu sein, jedenfalls an diesem tag, auch wenn er im park eine idee nach der anderen hatte – und es ihm gelungen ist, die meisten davon zu notieren oder eben schlicht nicht zu vergessen, kommt ihm seine sprache mehr als hölzern vor, er ist nicht in der lage, sich in eine fiktionale situation zu versetzen. schließlich beginnt er, mit ein paar sätzen über die eigene unfähigkeit zu schreiben, und als wäre er vom schicksal dazu ersehen, so einen mist zu schreiben, gelingen diese sätze wirklich, vielleicht, weil er bei diesen sätzen mit dem herz dabei ist.

19.
ralf geht los. er hat die nacht zuvor nicht geschlafen, aber das wird schon gehen. was sind schon 40 kilometer? und er geht los, es ist halb 8 uhr morgens, kaum jemand ist auf den straßen, anscheinend sind noch schulferien. ein paar jogger begegnen ihm, eine gruppe nordic walker, alles ältere menschen, die sich so fit halten. in der nähe des großen gestüts, dass am anfang des weges liegt dann noch ein paar reiterinnen unbestimmbaren alters, und so geht es weiter, wenig leute die wandern, die meisten entweder jogger, oder, später, als er die badeorte an der ostseeküste passiert, touristen, die hier ihren hart verdienten sommerurlaub nicht unbedingt nur genießen, denn an diesem tag ist das wetter instabil. ralf aber geht und geht und gönnt sich kaum pausen, seine erste pause macht er nach 16 kilometern, die nächste nach 30, samt stärkung in form von cevapcici mit pommes, da es wohl, wie er festgestallt hat, noch mal mindestens 15 kilometer weg sind, die vor ihm liegen und seine proviantreserven bereits fast zu ende neigen. es ist schön so zu wandern, dass alte dänemarkgefühl kommt wieder auf, ihm fällt viel wieder ein, was er schon fast vergessen glaubte, obwohl es nur tage zurück liegt, es ist wohl die unwirklichkeit so einer wanderung, die seinem gedächtnis sonst einen streich gespielt hat. jetzt aber, da die beine wieder schmerzen, fallen ihm gemeinsamkeiten und unterschiede auf, und alles in allem ist er froh, dass die dänischen skagerakstrände eine größere zone haben, in denen die wellen den untergrund mit schuhen gangbar machen, als hier an der ostsee, der weg ist teilweise eine qual. als er an seinem zielort ankommt, ist er froh, jetzt noch eine bahnfahrt, noch zwei kilometer zu seinem ‘versteck’ und siehe da, alles ist gut, knappe 50 kilometer wird er in den beinen haben, schlafen sollte nach diesen strapazen wohl kein problem darstellen.

20.
maxim ist nur schwerlich wachgeworden, ein anruf am abend führte zu seiner kleinen kneipentour, wie das nun mal geschieht und er hat zugelangt, kräftig getrunken, den schmerz zu betäuben, der noch da ist und bleiben wird.
aber jetzt, nach der kalten dusche, muss es los gehen. er ist froh, dass er sich, bevor er gestern ging, noch alles zurechtgelegt hat, den fingierten ausweis, die kleidung – sonst würde er wohl den start in tag nicht schaffen, so wie der kopf noch schmerzt. eine aspirin, ein liter wasser, dann geht es los.
“du darfst nicht so wirken, als würdest du jemanden suchen”. “du darfst nicht so wirken, als würdest du jemanden suchen.” der satz rattert immer wieder durch seinen kopf. “aber”, denkt maxim, “ich suche ja niemanden, ich bin staubsaugervertreter. hoffentlich knallt man mir die türen nicht zu schnell vor die nase.”
bevor er in der nähe der ersten adresse seinen wagen parkt, sieht er sich noch mal das foto des verschwundenen mannes an.

21.
jasper erwacht mit dem kopf auf dem schreibtisch. vor ihm liegt ein zettel und ein kugelschreiber. es ist ein riesiges problem, er kann so nicht weitermachen. er schreibt, er flaniert und wenn er nichts von beidem tut, dann säuft er. “so kann man nicht vorgehen”, denkt er, “da ist man sehr schnell in der gosse. aber andererseits, was soll er tun? war es nicht diese planlosigkeit, die ihn dazu geführt hatte, so weit zu gehen, diese verdammte münze zu werfen? “durch seine entscheidung, weiterzumachen, hatten sich seine probleme noch nicht gelöst. er saß vor seinem tisch, verkatert und müde, auf dem tisch ein stift und ein dünner stapel weißen papiers, unbeschrieben. gestern hatte es schon genauso ausgesehen. er war nie schlecht darin gewesen, pläne zu machen. aber das verfolgen jener selbstgesetzten ziele hatte er zuletzt völlig aufgegeben. diese wand der sinnlosigkeit, vor die er sich stets hatte rennen sehen, würde er einreißen müssen.”, schreibt jasper.

22.
ralf wird wach, zu seiner eigenen überraschung hat er keine schmerzen, nur eine ausgetrocknete kehle, die dreieinhalb liter wasser waren wohl doch zu wenig. einen tag wird er sich noch verstecken, dann wird er endlich offiziell wieder da sein – so langsam reicht ihm das spiel. es ist langweilig geworden und mit der einsamkeit scheint es wie mit jeder anderen droge zu sein: in zu großer dosis wird es gefährlich. denn wenn er so weiter macht, mit all diesen imaginierten gesprächen mit realen personen, die er jetzt gerade treffen könnte, dann wird es schwer, diesen leuten wieder zu begegnen und sich dabei sicher zu sein, welche konversation in der letzten zeit nun real war und welche nur in ralfs kopf geschah. und das zimmer, welches langsam unangenehm dreckig ist, aber mehr als leise durchfegen will ralf nicht, aus angst entdeckt zu werden. überhaupt: all diese leisetreterei! das musikhören und filmeschauen mit kopfhörer! all diese durchwachten nächte!

23.
maxim ist frustriert, erfolge sind fehlanzeige. dreißig häuser hat er abgegrast, nirgendwo eine spur, selbst der zugriff auf sicherheitskameras hat nicht geholfen, keine spur. jede menge menschen, ein haufen gespräche, schauspielerei – es führt zu nichts. den tod kann man so auch nicht verdrängen, kann ihm nicht entgehen, dadurch dass man eine person sucht, die verschwunden ist, weil sie es will (wie man ihr vorwirft) oder weil sie es ist, weil sie nicht anders kann. es könnte auch alles eine tarnung sein, denkt er, die gauloise schräg im mundwinkel hängend, fast blind vom rauch, der ihm in die tränenden augen zieht, ein mord. es kann alles sein. er muss es nicht herausfinden, er muss nur weiter suchen.

24.
jasper existiert weiter. nach einer schweißtreibenden nacht in clubs notiert er in sein notizbuch (das letzte, was wir von ihm erfahren). “das leben hat mich noch. es stinkt, es ist nass, gelegentlich tropft der schweiß nicht nur von der stirn, sondern schon von der decke. und es hält niemanden auf, der ausblendet, dass der kühlende tropfen von der decke eine synthese der erschöpfung vieler ist.”