“Ikarus” – Wege durch das Land, 2011: Flugfeld Oerlinghausen

Man kommt an, ein sonniges Flugfeld, Tischreihen mit Damastdecken und Suppentasse, Löffel und Messer auf blauer Serviette, dazu Brot in Tüchern verpackt.

Nach einer kurzen Ansprache der künstlerischen Leiterin des Festivals, Dr. Brigitte Labs-Ehlert, wie immer in unmerkbaren und nur schwer zu notierenden Sätzen gehalten und einer ebenso kurzen Ansprache zum Flugfeld und dessen Geschichte, werden die Menschen an den langen Tafeln für einige Zeit sich selbst überlassen.

Gerede sich jedenfalls in Teilen zuvor unbekannter Personen, dumpfes und helles (niveau- und klanglich), schwappt von Weinmangel über Suppensorten zu persönlicherem, während Wolken den weiten Himmel über dem Flugfeld besiedeln.


Regen fällt nicht, durch eine kleine Tür der Größe einer gewöhnlichen Zimmertür geht es ins Hangar, in dem der eigentliche Teil des Abends passieren soll, eine geradezu amtliche Sache, eine Uraufführung einer “szenischen Aktion für Stimme und Elektronische Musik” namens “Ikarus”.

Es fällt schwer die Atmosphäre in Worten einzufangen, selbst Bilder geben nur einen Teil wieder, selbst ein Video könnte nicht alles einfangen. Man sitzt im Dunkeln, als plötzlich ein Pult auf die Bühne geschoben wird, direkt vor die geschlossene Rolltür des Hangars, eine Art Wagen, versehen mit dem Equipment, welches für die Elektronische Musik nötig ist und zwei Stühlen, einem Tisch, zwei schlichten, kleinen schwarzen Lampen

Es geht los.

Die Stimme, die liest, gehört der Schweizer Schauspielerin Sibylle Canonica, für die elektronische Begleitung sorgt Mark Polscher, der eigentlich mal Fagott studiert hat, beide sind in schwarz gekleidet und schieben ihren Podestwagen selbst herein. Es ist keine aufdringliche elektronische Begleitung der starken Stimme, hat mehr etwas von Nebengeräuschen, ja teilweise klingt es wie ein Rauschen, wie man es vom Radio kennt oder von leicht beschädigten Schallplatten, durchsetzt von metallischen Plings, nur wenn die Stimme der Sprecherin aussetzt, deren rote Haare zum zwischendurch mal grün, mal weiß, mal blau angestrahlten Rolltor einen geradezu magischen Kontrast bilden, drängt sich der Synthesizer in den vordergrund und es wird sogar leicht rhytmisch, Takt wird erkennbar.

Schlussendlich, nachdem die Texte, eingerichtet von der bereits erwähnten künstlerischen Leiterin des Festivals, geschrieben von Juan de la Cruz, Ovid, Leonardo da Vinci, Ingeborg Bachmann, Doris Runge, Christoph Ransmayr und Leonid Andrejew, allesamt vom Fliegen, vom Traum des Fliegens handelnd, öffnet sich, nachdem sich der zu poetische Pilot Juri verloren hat, das Tor langsam, und sichtbar wird der Sonnenuntergang und das Flugfeld, leer und frei und klar, ein riesiges breites, betretbares Bild.

 Tosender Applaus.