Privatsphären und Grundrechte

Mir ist aufgefallen, dass es den Menschen, die mich kennen, als seltsam erscheinen muss, dass ich gerade zu diesem Zeitpunkt, da Enthüllungen zu PRISM & co. die Welt erschüttern, auf ein Chromebook setze. Ein Versuch, mir über meine Handlungen klar zu werden.

TL;DR: We are screwed and there is not much we can do about it. Aber auch wenn wir in einer Welt leben, die schlimmer sein mag als Orwell sich 1984 vorgestellt hat: Immerhin fühlt sie sich kuschliger an. Und: Wir müssen weiterleben.

Prism. NSA-Backdoors. Angezapfte Transatlantik-Kabel. Täglich wälzt sich irgendetwas neues durch die RSS-Feeds der Blogs und das Papier des sogenannten Qualitätsjournalismus. Ich bin alles andere als erschüttert. Skype, das war vorher schon hier und da glaubhaft gerüchtet, und mal ehrlich: Die Geheimdienste dieser Welt wären ihre Steuergelder auch nicht wert, wenn sie nicht die gewaltigen, von Tag zu Tag gewaltiger werdenden internationalen Datenströme nutzten. Ich habe jetzt in den letzten Tagen mehrere Dokumente mit Google Docs abgefasst. Mithilfe der Vielzahl an vorhandenen Dokumentvorlagen ging dieses mindestens genau so schnell, als wenn ich es mit Word oder einem der zahlreichen Word-Klone, wie dem von mir favorisierten LibreOffice Writer geschrieben hätte.

Am kommenden Wochenende werde ich dann versuchen, Bewerbungen mit Google Docs zu bauen. Es wird funktionieren. Was? Bewerbungen? Ich stelle mir entsetzt schreiende Leser vor. Ja, da sind interessante personenbezogene Daten und Abbilder wichtiger Dokumente drin. Aber angenommen, ich würde diese offline entwerfen, und dann per E-Mail unverschlüsselt ((Wie auch sonst, da die meisten Unternehmen komischerweise keine Keys bereitstellen…)) versenden? Oder per Post, wo sie dann gescannt würden? Um ehrlich zu sein: Der sicherste Weg, der mir so spontan einfällt, wäre das postalische Senden einer CD-Rom. Aber wenn ich so etwas Seltsames mache, dann kann ich den Job auch gleich vergessen und muss mir gar nicht erst die Mühe machen.

Da gibt es jetzt diese Leute, die auf Google, Facebook und vielleicht Apple schielen und bei sich denken: Ich bin bei GMX (oder web.de) und da bin ich sicher. Ich sage nur: Sonnt euch weiter in dieser Illusion. Ja, meine Eltern denken vielleicht, sie würden die Cloud nicht verwenden. Forget it, Daddy: GMX Webmail ist auch in der virtuellen Wolke, auch wenn die es vielleicht immer noch nicht so nennen. Und nein, auch Mozilla Thunderbird kann das Grundproblem nicht lösen, noch nicht mal ein eigener, teuer bezahlter Mailserver: Spätestens beim unverschlüsselten Senden kommt irgendein Geheimdienst  ((und auch viele andere, an die wir nicht denken wollen…)) an die Daten ran. Das ist kein Problem. Verschlüsselung aber erfordert immer noch viel technische Expertise. Und ist auch immer nur auf Zeit sicher, bei wachsender Rechenleistung gibt es da eindeutige Veraltungszyklen. Bemerkt sei auch, dass die heutigen Smartphones das Potenzial zu perfekten Wanzen bieten, mit GPS, Kamera und Mikrofonen, mit schnellem W-Lan ist dem Wahnsinn Tür- und Tor geöffnet.((Leider hilft hier auch “Open Source nicht, in Android ist NSA-Code enthalten, und der mit den Mobilfunkmasten kommunizierende unterliegt in (fast?) allen Fällen strenger unternehmerischer Geheimhaltung?)) Aber deswegen drauf verzichten? Es lohnt nicht, auch bei einem herkömmlichen Handy sind Mikrofone verbaut, und durch die eindeutige Identifikation hinterlässt man auch hier ein (wenn auch gröberes) Bewegungsprofil.

Don Dahlmann, A-Blogger etc. pp., hat eine Lösung:

Eine Lösung böte nur das komplette Verbot von ansatzloser Überwachung. Aber das ist vermutlich genauso utopisch, wie die Idee der totalen Informations- und Gedankenfreiheit im Netz.

Leider liefert er die deprimierende Realität gleich mit. Es ist eine Utopie. Innenminister Friedrich hat gesprochen ((ZDF Interview, und ein schönes Transkript bei Netzpolitik.org)): Es ist verfassungskonform, alles und jeden anlasslos zu überwachen. Und nein, auch dies wird nicht zu einer Bundesregierung führen, die die Privatsphäre mehr respektiert.

Und selbst, wenn das passierte, es würde nicht an der Überwachungsinfrastruktur und in den USA ändern. Es würde nichts daran ändern, dass die dominanten Internetunternehmen weiterhin aus den USA kommen. Es würde nichts an eventuellen Backdoors in Computerinfrastruktur ändern, die zu einem großen Teil aus den USA kommt – der andere Teil kommt aus China ((auch kein Staat mit großem Respekt für Demokratie und Privatsphäre)). Wenn es also unausweichlich ist, wo ist dann noch das Problem? Natürlich, man will, dass die eigenen Daten “sicher” sind und wenn das auch gegenüber unzureichend parlamentarisch kontrollierten Stellen nicht möglich ist, dann doch wenigstens gegenüber Identitätsdieben, Kreditkartendatenhändlern und anderem Gesindel.

Auch hier gibt es dann wieder den Weg der Totalverweigerung, aber mal im Ernst, Teilhabe an aktuellen Entwicklung, Teilhabe an Bleeding Edge-Entwicklungen, an neuen Ideen, war schon immer risikobehaftet. Solange diese Gefahr nicht tödlich ist, so wie es etwa die Teilnahme an demokratischen Ideen mal war und in manchen Teilen der Erde leider auch noch ist, können wir ganz zufrieden sein. Natürlich ist öffentlicher Widerstand, natürlich ist Ausdruck des Unbehagens wichtig; man darf Einschränkungen der persönlichen Freiheit niemals unhinterfragt hinnehmen. Auch wenn man einsehen muss, dass man wohl machtlos ist.

Aber deswegen die Epoche zu verfluchen, deswegen die totale Flucht ins analoge anzutreten, ist Unsinn. Mag man sich einmal nicht selbst zensieren, freuen sich sicher stets der mit königsblauer Tinte befüllte Füller und das gelbliche Papier des Moleskine. ((Aber auch hier ist die Sicherheit vor allem durch Unleserlichkeit gegeben, denn weder Taschendiebstahl noch Wohnungseinbruch sind wahrlich hohe Künste, sie erfordern nur ein gewisses Maß krimineller Energie.)) Aber nein, nicht nur dort, auch die Einsen und Nullen verdienen Ehrlichkeit und Wahrheit: Die Reaktion auf Überwachungsinfrastruktur darf keinesfalls die Selbstzensur sein. So lange es ein Recht auf freie Meinungsäußerung gibt ((und eigentlich auch darüber hinaus…)), muss man dieses nutzen.

Denn ein Recht bedeutet immer auch eine Pflicht, dieses verantwortungsvoll zu nutzen. Und Kapitulation ist keine verantwortungsvolle Nutzung.

P.S.: Ich lese jetzt erstmal Christian Hellers “Post Privacy – Prima leben ohne Privatsphäre” zu Ende.